[Antifa-Debatte] Fröhlich in den Untergang – Antwort auf Josèphine Babeufs Verteidigung des Aufrufs „Zeit zu handeln“

dieser text war leider im indymedia-datenverlust verloren gegangen (wie auch die anderen texte der diskussion). wir haben ihn mit links ausgestattet, die auch die alten texte auffindbar machen und veröffentlichen ihn ncohmal. unser eindruck ist, dass die debatte weiterhin von interesse ist und dieser text ist, soweit wir wissen, der letzte der debatte. leider wurde er nur hier auf indy veröffentlicht und dann nicht mehr woanders. falls eine neuveröffentlichung nicht im sinne der verfasse_innen ist: sorry! das lustige bild haben wir nicht mehr gefunden und ein eigenes rausgesucht.

Die ursrpümglichen verfasser_innen nannten sich ostdeutsche antifas.

Fröhlich in den Untergang – Antwort auf Josèphine Babeufs Verteidigung des Aufrufs „Zeit zu handeln“

Kürzlich verfassten wir einen Text, der sich kritisch mit dem Aufruf „Zeit zu handeln“ auseinandersetzte. Darin kritisierten wir die inhaltliche Ungenauigkeit des Aufrufes sowie den Aufruf selbst, der mit den üblichen Appellen, wie sie zu allen Zeiten aus der radikalen Linken kommen, aufwartete, und dabei deren Bedeutungslosigkeit durch Dringlichkeit und Drastik wettzumachen suchte. Nur am Rande thematisierten wir, dass der Aufruf auch etwas Vermessenes hatte darin, dass hier westdeutsche Antifas ohne Beteiligung einer ostdeutschen Antifagruppe einen Aufruf starteten, sich in Ostdeutschland dem Erstarken rechter Kräfte entgegenzustellen. Das Befremdliche daran wurde von „anderen Ostdeutschen Antifas“ noch einmal deutlich herausgearbeitet, die dabei noch zurückhaltender blieben, als sie hätten sein können, findet hier doch seit jeher alle linke Politik nur im Konflikt mit rechten und faschistischen Kräften statt, insbesondere abseits der „größeren“ Städte, wie etwa Leipzig, Dresden, Magdeburg, Jena und Erfurt. Und auch in Bezug auf diese muss gesagt werden, dass hier die Erfolge im Zurückdrängen faschistischer Kräfte im begrenzten Rahmen bleiben und sich zum Teil auf bloß temporäre Erfolge und „Szeneviertel“ beschränken. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass sich etwa Dresden und mehr noch Leipzig dahin entwickelt haben, dass durch auch diese kleinen Erfolge antifaschistischer Kämpfe sich hier ein für vielleicht westdeutsche Verhältnisse übliches alternatives Wohlgefühl entwickeln konnte. Dieses Klima ist es, was auch hier zu einem Erstarken von politischen Strömungen innerhalb der radikalen Linken geführt hat, die von Antifa nicht mehr viel wissen wollen und für die antifaschistische Praxis nie viel mehr ist als irgendein politisches Thema unter vielen anderen linken Themen. Gerade der autonome Antifaschismus aber hat hierfür nicht unwesentlich den Weg bereitet, wobei hier immer „mitbereitet“ gemeint ist, weil auch klar ist, dass an dem, wenn auch geringfügigen, Zurückdrängen faschistischer Kräfte viele Hände mitwirken mussten, manchmal auch ohne dabei die gleiche Stoßrichtung zu verfolgen oder sich nicht auch gegenseitig Probleme zu machen. Es war und ist dieses Wohlgefühl, was auch andere politische Strömungen dazu einlud, hier das eigene politische Süppchen zu kochen, ohne dabei Rücksicht darauf zu nehmen, welche Kämpfe hier im Allgemeinen zu kämpfen sind. Stattdessen wird die relative Größe der „Szene“ als Anlass genommen, hier die eigene Agenda zu verfolgen, ohne jeden sinnvollen Zusammenhang oder Bezug zu den bereits vorhandenen Verhältnissen und Strukturen, und sich dabei aufzuführen wie die Axt im Walde. Diese Erfahrung, können wir sagen, ist längst gemacht, und allein das stimuliert zu jeder Vorsicht gegenüber weiteren Projektionen auf die politische Praxis hier, die aus der Distanz ohne Kenntnis zu uns kommt, mag sie auch gut gemeint sein.

Damit soll keinesfalls gesagt werden, dass die aktuelle Schwäche der antifaschistischen Bewegung hier durch politische Bestrebungen von außerhalb verursacht ist. Sie resultiert aber nicht, wie wohl aus der Ferne oder aus politischer Verblödung angenommen wird, aus einem Mangel an Organisation, einem Mangel an Engagement, einem Mangel an Aufmerksamkeit für das Anwachsen der faschistischen Bedrohung oder politischer Orientierungslosigkeit, die hier nicht stärker ausgeprägt ist als anderswo. Vielmehr resultiert sie aus dem, was in einer anderen Debatte [1, 2, 3] über die Bedeutung von Repression versucht wird auszuloten: dem Schaden, den die antifaschistische Bewegung insbesondere durch das Antifa-Ost-Verfahren genommen hat. Dieser jedenfalls war weitreichender, als dass es nur die angeklagten Antifas getroffen hätte. Mehr jedenfalls wird davon abhängen, ob es gelingt, diesen Treffer abzuschütteln, als dass es hier kämpferische Reden braucht, die dann, wie zuletzt in dem von uns kritisierten Aufruf, so kämpferisch gar nicht sind, was sich in der inhaltlichen Orientierungslosigkeit und praktischen Irrelevanz ausdrückt.

Wir haben uns sehr gefreut, dass unser Text nicht nur gelesen wurde, sondern auch zu Antworten gereizt hat, und wir begrüßen jeden Beitrag, auch wenn wir nicht alles inhaltlich teilen. Wir sehen darin das geteilte Anliegen, die aktuelle Orientierungslosigkeit überwinden zu wollen. Dabei stören uns auch scharfe Worte nicht; es ist besser, eine Position kommt scharf und erkennbar zur Geltung, als dass im Versuch, nicht unhöflich zu sein, immer nur das geteilte Anliegen und die Gemeinsamkeit betont werden. Wir setzen diese geteilten Anliegen und die Gemeinsamkeiten voraus und sie nehmen für sich keinen Schaden, sofern nicht unüberbrückbare Widersprüche sich auftun; Wenn sie es tun, ist das nur sinnvoll. Es wäre falsch, sie durch vordergründige Freundlichkeit zu überdecken. Eine Absage wollen wir demgegenüber erteilen an Appelle wie den von den NRW-Antifas: „Wir appellieren an dieser Stelle, sich auf einen ernstgemeinten minimalen Konsens zu verständigen, zur einheitlichen Abwehr faschistischer Gefahr“, „[E]s ist Zeit aufzuwachen und die Hände zu reichen“. Auf so einen Konsens sich zu einigen, erscheint uns obsolet, wie wir in unserem vorherigen Text schon umrissen haben. Zudem setzen wir ihn für uns unausgesprochen voraus: Wir sind im Zweifelsfall mit allen bereit, die Hände zu halten, die in uns nicht ein größeres Problem als in der wachsenden Zahl der Faschisten erblicken, ausgenommen all jene, denen selbst schon der Wunsch nach Menschenmord ins Gesicht geschrieben steht.

Zu allem wäre mehr zu sagen, als wir es nun tun werden. Gerade jene Worte, in denen wir uns wiederfinden, bleiben unangesprochen.

# Die gewollte Kritik

Unsere Antwort auf den Aufruf hat ja keinesfalls nur positive Aufnahme gefunden. Das war zum einen nicht erwünscht und zum anderen auch erwartet. Ablehnung ist selbstverständlich, wenn wir etwa schreiben:

„Großen Zulauf aber haben in der radikalen Linken gerade die Gruppen, die sich auf die „Erfolge“ Stalins und Mao Tse-Tungs beziehen, von der „Arbeitermacht“ faseln und irrsinnigerweise glauben, der Klassenkampf befindet sich auf dem aufstrebenden Ast; Als Zusatz dazu gibt es noch die Rückwende zur Palästina-Solidarität, weil aus absurden Gründen davon ausgegangen wird, dass es sich dabei eben irgendwie um diesen Klassenkampf handeln muss, der dann von der Peripherie auf die Zentren der Macht übergreift. Oder wie wäre es mit der Hoffnung, dass es zielführend ist, sehr viel Wert darauf zu legen, wie über irgendetwas gesprochen wird, während die Welt um einen herum brennt? Auch dieser Mumpitz wird als radikal und dienlich für die Umwälzung der falschen Welt erachtet: Wenn wir nur alle dazu kriegen, ordentlich über die Begebenheiten und Menschen in der Welt zu sprechen, wird sich alles schon zum Guten wenden. Und obendrauf eine Klimabewegung, deren öffentlichkeitswirksamster Teil radikal die Einführung des 9,– €-Tickets, das Tempolimit, klimafreundliche Gesetzesvorhaben und Absichtserklärungen der Regierung fordert.“

Und während sich an der sehr schlicht geratenen Kritik an der Diskurstheorie oder der Kritik der Inhaltsarmut der Klimabewegung niemand gerieben hat, konnten wir mit ein wenig Umschau bei der vom Protofaschisten Musk betriebenen Plattform x.com entdecken, dass es Widerspruch von jenen gab, die „von der Arbeitermacht“ faseln. ZB schrieb jemand unter dem Account „KlabauterFrau“: „Fatalistischer Quatsch. „Ostdeutsche Antifas“ sollten sich mal in Gruppen organisieren anstatt solche individuelle Texte alleine in ihrem Wohnzimmer zu verfassen.“ Oder der Account „leer/zeichen“: „ich denke mal das ist eine art trolle text oder sieht das jemand anders?“, worauf dann „Nö passt schon irgendwie an ideologischer Verwirrung“ geantwortet wurde, und dann wusste jemand Names Kappinski noch zu sagen: „Ich habe ihn nicht vollständig gelesen weil ich gerade sehr müde bin. Aber es sieht aus als wären die etwas orientierungslos. also wahrscheinlich eher aus dem anarchistischen Spektrum?“

Bei so viel ideologischer Festigkeit gegenüber unserer „ideologischen Verwirrung“ war es nur eine Frage der Zeit, bis aus dieser Richtung sich doch jemand ausreichend angesprochen fühlen würde, eine Antwort zu schreiben, um diese Festigkeit einmal zu demonstrieren. Und so kam es dann auch, Josèphine Babeuf (kürzen wir in der Folge JB ab und ersparen allen unsere Überlegungen zu der Namenswahl) gab sich die Ehre und antwortete mit einer marxistischen Verteidigung des „Aufrufs, bei dem es sich um einen Versuch handeln soll, „die Debatte auf ein höheres Niveau zu heben“(Den Text findet ihr hier). Da haben wir natürlich nichts dagegen und wir sind gespannt, müssen wir doch erfahren, dass unsere Kritik „haltlos ist und auf einem falschen Verständnis beruht“, sich aber trotzdem zum Schluss „ein paar zustimmende Worte zu der Kritik der „ostdeutschen Antifas“ an der radikalen Linken“ finden werden. Der Text teilt sich dann in drei Teile, wobei es im ersten Teil um unsere Fehler gehen wird, im zweiten Teil die marxistische Theorie kurz dargestellt wird und im dritten Teil etwas zur Lage der radikalen Linken gesagt wird. Es juckt uns in den Fingern, uns nun auf den ersten Teil, der sich ja konkret an uns richtet, zu beziehen und dieser Aussage, dass unsere Kritik „haltlos“ ist, zu widersprechen. Schließlich werden uns gleich eine „Reihe schwerer Fehler“ vorgeworfen, und zwar da, wo wir „versuchen […] die Position des „Zeit zu handeln“-Aufrufs wiederzugeben. Immerhin, müssen wir anerkennend feststellen, JB scheint zu verstehen, dass wir nicht unsere Position wiedergeben, sondern die Position des Aufrufs, JB ist aber der Auffassung, dass wir sie falsch wiedergeben. Nun kommt es aber zu einem seltsamen Schritt, denn wir bekommen gegen unsere Auslegung des Textes nicht den Text entgegengehalten; Dies aber bräuchte es, wenn man uns doch nachweisen wollen würde, wir hätten den Text missverstanden. Stattdessen wird uns etwas entgegengehalten, was so nirgendwo im Aufruf „Zeit zu handeln“ drinsteht. Wir müssen also feststellen, dass wir den Text „Zeit zu handeln“ nicht deswegen falsch kritisieren, weil der Aufruf sich schon selbst gegen eine solche Auslegung sperrt, eine Sperre, die wir fälschlicherweise übergingen, sondern deswegen, weil unsere Kritik falsch ist gegenüber einer Position, die nicht im Text drinsteht. JB springt dem Aufruf also nicht mit diesem selbst bei, sondern mit einer neuen Position, die sie nun dem Aufruf unterschiebt. Dagegen können wir aber unsere Position nicht verteidigen.

Die Frage, die sich uns stellt, ist, wie das von JB begründet werden könnte, dass nicht wie angekündigt, der Aufruf selbst verteidigt wird, sondern eine ihm äußerliche Position. Wir nehmen an, dass es an den Begriffen „Kapitalismus“, „Klassenkampf“ und „Krise“ liegt; Die Verwendung im Aufruf verweist auf die marxistische Theorie und kann zur Annahme motivieren, alles, was nun drumherum gesagt wird, sei nun ausgewiesen als von dieser Theorie herkommend. Insofern hätten wir den Text auch in seinen Wischiwaschi-Passagen so deuten müssen, dass damit vielleicht etwas ungenau, aber vom Grunde her doch nur eine Paraphrase der marxistischen Theorie gemeint sei. Das haben wir nicht gemacht und sehen dazu auch weiterhin keine Veranlassung. Wer den Marxismus zu seiner Grundlage erklären will, der muss dies tun, wenn schon nicht explizit, dann doch zumindest durch eine stimmige und korrekte Wiedergabe. Ein nachträgliches „War aber so gemeint“ lassen wir nicht gelten, erst recht dann nicht, wenn es nicht mal von den Verfasser:innen selber kommt. Darüber hinaus erscheint es uns recht willkürlich, nur an der Verwendung von Begriffen, die ihre wesentliche Entfaltung im Marxismus fanden, einfach auf den Marxismus als inhaltliche Grundlage zu schließen. Denn – egal wie man das findet – die Begriffe werden mittlerweile von allen möglichen Leuten für alles Mögliche gebraucht und haben dadurch ihre Eigenschaft als bestimmte Begriffe eingebüßt; Wer sie heute sinnvoll verwenden will, und so über ihre heutige Unbestimmtheit hinaus zur Geltung bringen möchte, der muss diese Bestimmung selber leisten und kann diese nicht mehr voraussetzen.

Wenn wir die kleinen Frotzeleien gegen uns aus dem Text von JB nun so stehen lassen müssen und auch nicht noch einmal über den Aufruf reden wollen, dann liegt es nahe, nun eben auf das einzugehen, was JB als eigene Position präsentiert. Denn darum scheint es ja auch JB vielmehr zu gehen, als sich selbst mit dem ursprünglichen Aufruf zu befassen. Dieser dient vielmehr als Vehikel, die eigene Position auf etwas unbeholfene Weise in die Debatte einzubringen.

# Der fröhliche Kommunismus

Die Position, die JB vertritt, ist die Position des fröhlichen Kommunismus. Fröhlich, weil in dieser Betrachtung die Welt bereits ausreichend begriffen ist und auch eine dementsprechende Praxis bereits abgeleitet ist. Bedarf, Positionen neu zu bestimmen, gibt es nicht. Das Denken ist an sein Ende gekommen und in eine statische Situation eingetreten. Ebenso ist es die Praxis: Es bedarf keiner Überlegung, was zu tun ist, sondern nur noch des reinen Engagements. Während das reflexive Bewusstsein sich im Zustand des Unglücks befindet, weil es sich mit den Drohungen der Welt befasst und angesichts dieser erst einmal die eigene Ohnmacht realisieren muss, sind die Anhänger:innen des fröhlichen Kommunismus vor solchem Unglück sicher. Eine Reflexion auf die tatsächlichen Verhältnisse und Bedingungen ist hier überflüssig geworden. An ihre Stelle tritt die Beschäftigung mit der marxistischen Theorie, freilich nicht, um diese irgendwie zu begreifen, sondern um diese als eine Art Amulett mit sich herumtragen zu können. Dementsprechend werden Inhalte vor allem auswendig gelernt, um sie dann bei Gelegenheit sauber rezitieren zu können. Darüber hinaus sind die spezifischen Inhalte nicht wichtig; Wichtig ist vor allem die folgende Figur: Im Kapitalismus sind die beiden zentralen Klassen das Proletariat und die Bourgeoisie. Diese beiden befinden sich in einem antagonistischen Verhältnis. Die Bourgeoisie verfügt über die Produktionsmittel und beutet das Proletariat aus. Das Proletariat hat keine Produktionsmittel und muss seine Arbeitskraft verkaufen. Alles, was dieses Verhältnis verleugnet, ist Ideologie. Die Ideologie hat die Funktion, das Proletariat von der Revolution abzuhalten, und mal diese und mal jene Form, je nachdem, wie der Kapitalismus sich gerade wandelt. Aber: Das Proletariat hat die Möglichkeit, sich der Lage, in der es sich befindet, bewusst zu werden, es kann Klassenbewusstsein entfalten. Wenn das Proletariat Klassenbewusstsein entfaltet, dann wird es selbstbewusst.

In den Klassenkampf ein- und die Revolution lostreten. Wenn das Proletariat in der Revolution siegreich ist, haben wir die freie Gesellschaft, siegt die Konterrevolution, tritt wieder die Situation wie zuvor ein und alles beginnt von vorn. Das Proletariat kann sozusagen nie endgültig verlieren, jedenfalls wenn es verliert, so ist dies nur eine weitere notwendige Erfahrung für die nächste Offensive. Und wer sind in diesem Verhältnis die Kommunist:innen? Sie sind diejenigen, die – durch Intelligenz oder durch Zufall – das Verhältnis der Klassen und die Widersprüche der Bourgeoisie durchschauen und sich nun darin betätigen können, dem Proletariat bei der Entfaltung des Klassenbewusstseins zu helfen, und zwar mithilfe der Mittel von Agitation und Propaganda.

Diese Position ist eine erfreuliche Position, weil sie zu jeder Gelegenheit und zu allen Zeiten immer richtig ist. Sie ist quasi die Universallösung der politischen Praxis, oder besser gesagt, sie allein ist tatsächliche politische Praxis. Es ist einfach völlig egal, ob sich der Kapitalismus gerade in einer Krise befindet oder nicht, und der Klassenkampf, bzw. die Anstrengungen, diesen in Gang zu bringen, ist auch das Mittel gegen den Faschismus, denn der Faschismus ist ja nichts weiter als eine weitere Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft, mit der sie das Proletariat vom Klassenkampf abhalten will. Und zwar dies im Zeichen der Krise, denn vom Grunde her wäre diese besonders geeignet, das Proletariat zum Bewusstsein seiner Klasse zu stimulieren, weil in diesen die Ausbeutung besonders deutlich hervortritt. Dementsprechend bedarf es auch einer besonderen Ideologie, die die aufkommende Wut im Moment der besonders deutlich erfahrbar gewordenen Ausbeutung von der Bourgeoisie wegleitet und auf einen nicht vorhandenen, vermeintlichen Verursacher hinleitet, wie etwa „die Juden“, „die Ausländer“, „die Penner“, „die Frauen“, und so weiter. Eine Kenntnis der Ideologien, die dann mal die eine und mal die andere Gruppe in einer Form erzeugt, welche die Wut auf die falschen Verhältnisse in falsche Bahnen lenkt, ist nicht notwendig. Sie erledigen sich alle gleichermaßen durch den Klassenkampf.

Wir sehen, dass wir hier schon ein Stück weggekommen sind vom ursprünglichen Marxismus, wie wir ihn auf Marx zurückführen können. Marx sah als wesentlichen Faktor für die Revolution die fallende Profitrate an; Diese sollte einmal ganz grob gesprochen dazu führen, dass sich die Widersprüche im Kapitalismus zuspitzen, die Arbeiter in eine nicht mehr aushaltbare Situation gedrängt werden und ihnen nahezu nichts mehr anderes übrig bleibt, als mittels Revolution andere Bedingungen herzustellen. Aber es zeigte sich ja, dass der Kapitalismus deutlich anpassungsfähiger war, als Marx es annahm; Revolutionen im Rahmen der fallenden Profitrate blieben wesentlich aus. Die erfolgreiche Revolution in Russland hatte zwar auch eine Verelendung des Proletariats als Ursache, aber keinesfalls allein, zumal Russland zu diesem Zeitpunkt noch gar kein durchkapitalisiertes Land war, sondern sich in weiten Teilen noch im Zustand einer Feudalgesellschaft befand. Dies veranlasste die dort wirkenden Kommunist:innen dazu – allen voran Lenin –, die marxistische Revolutionstheorie anzupassen und um den Gedanken der Avantgarde zu ergänzen. Es ist eben erst diese Avantgarde, die das leistet, von der JB sagt, dass es die Kommunist:innen leisten sollen:

„Es gibt keinen Automatismus, der daraus [aus der aktuellen Krise des Kapitalismus] zu revolutionärem Klassenbewusstsein führt, aber diese Situation ist die Grundlage dafür, dass revolutionäre Positionen und Organisierung im Proletariat massenanklang finden können. Wenn diese Gelegenheit von KommunistInnen nicht genutzt wird, findet die Wut über die Zustände ihren Ausdruck in einem verwirrten „Widerstand“ gegen das falsch verstandene „System“, der auch reaktionäre Formen annehmen kann. In Deutschland führt die fehlende Stärke der (revolutionären) ArbeiterInnenbewegung dazu, dass „das System“ rein politisch und nicht primär ökonomisch aufgefasst wird, was es der AfD überhaupt erst ermöglicht, sich als Fundamentalopposition zu vermarkten. Im unbewussten Proletariat erfüllt die AfD damit die Funktion, den Wunsch nach Widerstand in für den Kapitalismus ungefährliche Bahnen zu lenken.“

Was uns also JB hier anbietet, ist nichts anderes als der Marxismus-Leninismus als Lösung für sowohl die aktuellen Krisen, als auch für die Drohung der faschistischen Machtübernahme. Es ist also auch klar, was dies für den praktischen Antifaschismus bedeutet: Der konkrete Kampf gegen Nazis mag zwar hier und da erforderlich sein, aber er ist es nur insoweit, wie die Faschisten ein Hindernis sind für die eigene Agitation und Propaganda. Denn die AfD vertritt zum einen die Interessen einer bestimmten Fraktion innerhalb der Bourgeoisie: „Es ist noch anzumerken, dass die AfD, wie jede Partei, immer eine bestimmte Fraktion der Bourgeoisie vertritt, die gegen andere Kapitalfraktionen um ihre Interessen kämpft.“

Aber zum anderen erfüllt sie auch eine Funktion in der Verteidigung des Kapitalismus insgesamt, indem sie „ den Wunsch nach Widerstand in für den Kapitalismus ungefährliche Bahnen“ lenkt. Im Kampf gegen die Bourgeoisie wird die AfD also immer mitbekämpft. In diesem Kampf unterscheidet sie sich nicht wesentlich vom Rest der Bourgeoisie. Problematisch ist sie für Kommunist:innen aber vor allem da, wo sie die durch die Krise für ihre Situation aufmerksam gewordene Arbeiterklasse „verwirrt“.

Wir sehen also, dass es einen Kampf um das Proletariat gibt: Während auf der einen Seite (leider wenig erfolgreiche) Kommunist:innen sich darum bemühen, ihnen zum Klassenbewusstsein zu helfen, stehen auf der anderen Seite die Faschisten bereit, um das Proletariat davon abzubringen.

# Das Klassenbewusstsein

Wenn wir den Anspruch JBs ernst nehmen, muss es also darum gehen, dem Proletariat zum Klassenbewusstsein zu verhelfen. Aber hier stellt sich ja ein gewisses Problem ein: Das Klassenbewusstsein muss ja ein tatsächliches Bewusstsein der eigenen Klasse sein:

„Bewusstsein meint dabei nicht nur, etwas nicht „unbewusst“, nicht „auf Autopilot“ zu machen, sondern vielmehr die eigene Umwelt verstehen und sich in der Gesellschaft verorten können. In einer Klassengesellschaft heißt das: Sich der eigenen Stellung im Produktionsprozess bewusst zu werden und Klassenbewusstsein entwickeln. Klassenbewusstsein ist also nicht etwa das, was z.B. ein durchschnittlicher Proletarier denkt, und auch nicht das, was alle ProletarierInnen gemeinsam denken. Klassenbewusstsein ist das, was eine Proletarierin denken würde, wenn sie den ganzen Aufbau der Gesellschaft verstehen würde und sich als Proletarierin ihrer eigenen Interessen bewusst wäre.“

Wir stellen also fest: Klassenbewusstsein ist nicht etwas, was die Proletarierin denkt, sondern eben das, was sie denken soll; Der Inhalt des Klassenbewusstseins steht schon fest, bevor derjenige, der es haben soll, überhaupt in den Produktionsprozess eingetreten ist. Der ganze „Aufbau der Gesellschaft“ und die „eigenen Interessen“ sind nicht etwas, was erst zu entfalten wäre. Es ist etwas, was einfach übernommen werden kann, nachdem man es im Rahmen von Agitation und Propaganda gehört hat, bzw., wie es ja auch heute wieder populär geworden ist in den marxistisch-leninistischen Kreisen, irgendwelche Schulungen besucht hat. Zumindest in der kurzen Ausführung, die uns JB hier gibt, wird nicht deutlich, wo der Unterschied ist zwischen dem Wissen von der „Stellung im Produktionsverhältnis“ und „dem ganzen Aufbau der Gesellschaft“ und dem Bewusstsein davon. Es erscheint in den Ausführungen als wesentlich das Gleiche. Doch macht dies den ganzen Unterschied aus. Da, wo die Inhalte des Bewusstseins als statisches und positives Wissen vermittelt werden, entsteht kein Bewusstsein. Ein Bewusstsein von etwas entfaltet sich aus der geistigen Erfahrung und nicht aus der Übernahme von Wissen. Aus der erfahrungslosen Übernahme von Wissen entsteht vielmehr Folgsamkeit und Hörigkeit gegenüber denen, die als die Haushälter des Wissens auftreten. Das ist in der Regel auch gewünscht, weil ja die heutigen Marxisten-Leninisten, ähnlich wie ihre historischen Vorbilder, in der Regel auch Fantasien darüber besitzen, wie der auf die Verbreitung dieses „Bewusstseins“ folgen sollende revolutionäre Prozess aussehen soll. Ein Abweichen von diesen Vorstellungen wird dementsprechend auch immer als Erfolg der bürgerlichen Ideologie umgedeutet, ein Umstand, der ja in der Sowjetunion zahllose Menschen das Leben gekostet hat.

JB hebt zwar die Bedeutung des Bewusstseins im Marxismus hervor: „Obwohl der Marxismus eine materialistische Philosophie ist, spielt das Bewusstsein eine entscheidende Rolle“, scheint sich aber um die Entfaltung eines solchen keinerlei Gedanken zu machen, bzw. einfach davon auszugehen, dass diese schon in Gang gesetzt ist, wenn der richtige Denkinhalt in den Denkapparat der Proletarier gebracht wird. Überhaupt ist der Zugang zum Proletariat wesentlich instrumentell: Weil einzig das Proletariat als Klasse bewussteinsfähig sein soll, ist es wichtig, diesen Prozess in Gang zu setzen, damit das Proletariat dann die Klassengesellschaft aufhebt, nicht weil das Proletariat in seiner tatsächlichen Gestalt selbst die Klassengesellschaft aufheben will. Oder um es einmal schlichter zu sagen: Es wird mit einem Fantasiebild der Arbeiterklasse gearbeitet und versucht, die tatsächliche Arbeiterklasse diesem Bild anzupassen, und dies mit völlig untauglichen Methoden. Um sich aber selbst von dieser Tatsache abzubringen, wird die marxistische Theorie genutzt, um sich der Notwendigkeit dieses Unterfangens zu versichern und diese auch noch da zurechtgebogen, wo sie an ihre Grenzen kommt.

Dabei zeigt JB ja mit dem Verweis auf Lukacs, dass der halbe Weg schon gegangen ist. Statt aber bei der Entwicklung der Theorie der Verdinglichung des Bewusstseins durch Lukacs weiterzugehen, wird dort stehengeblieben und damit wieder dahinter zurückgefallen. Die Theorie des verdinglichten Bewusstseins auch der Arbeiterklasse, nach welcher sich das zwischenmenschliche Verhältnis dem Warenverhältnis angeglichen hat und so die Beziehungen der Menschen den Beziehungen zwischen Dingen gleichen, wird genutzt, um den Agitationsgedanken Lenins umso stärker zu rechtfertigen. Das Proletariat kommt aus seiner angedachten Rolle, die Revolution machen zu müssen, nicht hinaus. Damit aber zeigen sich jene, die sich in der Rolle des Agitators wiederfinden, selbst als jene, die am verdinglichten Bewusstsein leiden, weil sie auch in den Zielen ihrer Agitation bloß Objekte in einem statischen Prozess erkennen können, die ihrer objektiven Aufgabe nicht nachkommen wollen. Wer aber in anderen bloß die Objekte eines Prozesses sieht, sollte von Bewusstsein nicht zu viel sprechen. Gerade sind es ja keine Objekte, um die es hier geht, aber wir leben in einer Welt, in der alle sich gegenseitig als Objekte betrachten und behandeln, und zwar, weil der gesellschaftliche Prozess sie zu solchen herabgewürdigt hat. Klassenbewusstsein heißt also bei JB, dass sich die Proletarier endlich mit ihrer Rolle als Objekte in einem über sie hinweglaufenden Prozess identifizieren und noch den Rest in ihnen, der sich gegen diesen Umstand wehrt, indem sich am noch so schmalen Glück festgeklammert wird, über Bord werfen sollen. Anstatt dass sie andere als wertlos betrachten, sollen sie sich selbst an deren Stelle setzen. Und dies alles nicht, weil ihnen und anderen das die Freiheit bringt, sondern weil sie Objekte in der Fantasie derer sind, die glauben, dass ihnen selbst dies die Freiheit bringen wird.

# Die Avantgarde

Während bei Marx das Klassenbewusstsein noch wirklich eines ist, weil das Proletariat es herausbildet, gerade da, wo es eigene Erfahrung macht, tritt bei Lenin dieser Gedanke nach hinten. Nicht durch die gemeinsame Reflexion ihrer Erfahrungen lässt im Proletariat das Bewusstsein seiner Klasse aufkommen, sondern vielmehr tritt an die Stelle der Erfahrung die Avantgarde. Die Avantgarde zeichnet sich dadurch aus, dass sie zum einen ohne Erfahrungen zum Klassenbewusstsein gelangen kann, und zwar durch intellektuelle Tätigkeit, zum anderen muss sie selbst nicht zum Proletariat gehören. Sie muss vielmehr zu der schlichten Einsicht gelangen, dass die freie Gesellschaft nicht durch die Bourgeoisie, sondern durch das Proletariat herbeigeführt werden wird und dass der Weg hierzu die Revolution als Grand Finale des Klassenkampfes ist. Diese Einsicht der Avantgarde beschreibt JB so:

„Nur das Proletariat ist heute bewusstseinsfähig, und gleichzeitig auch die einzige Klasse, die in der Lage ist, den Kapitalismus zu überwinden. Wenn alle ProletarierInnen klassenbewusst wären, könnte das Proletariat jederzeit die Macht übernehmen und heute schon den Kommunismus einführen. Damit ist der Kampf um das Klassenbewusstsein der entscheidende Kampf, den es zu führen gilt.“

Die Avantgarde kämpft also „um das Klassenbewusstsein“ der Arbeiterklasse. Hier wird umso deutlicher, dass die Aufgabe eben darin besteht, der Arbeiterklasse das Klassenbewusstsein beizubringen, und dass diese jenes nicht entfaltet. Bewusstseinsfähig soll alleine die Arbeiterklasse sein, aber ohne Anschub kommt sie eben nicht dazu, diese Fähigkeit tatsächlich zu gebrauchen. Wie aber kommt nun die Avantgarde eben zu jenem Bewusstsein der Arbeiterklasse? Sie muss für sich nicht notwendig selbst aus dieser kommen, denn JB schreibt: „[E]inzelne KapitalistInnen [können] sich […] der Lage bewusst und MarxistInnen werden“. Aber im Grunde liegt hier das gleiche Missverständnis vor, welches sich schon in der falschen Vorstellung dessen ausdrückt, was wohl das Bewusstsein überhaupt ist. Die „Lage“, derer sich die Avantgarde eben vor allen anderen bewusst wird, ist eben nicht eine tatsächliche Erfahrung der eigenen Lage, sondern sie ist vielmehr die allgemeine Schilderung der Lage, wie sie sich im Marxismus finden lässt. Dies ist die abstrakte Kenntnis der von Marx entfalteten konkreten Lage, aber das kann immer nur ein Schritt sein, es ist noch nicht das Bewusstsein selbst. Erst durch die tatsächliche Erfahrung kann sich so etwas wie ein tatsächliches Bewusstsein entwickeln, ohne dieses wird aber die Schilderung des konkreten Verhältnisses bei Marx ins Abstrakte überführt. Dadurch entsteht das Missverständnis, dass die eigene Kenntnis von Sachverhalten und das Klassenbewusstsein in eins fallen. Eine solche Avantgarde kann aber ihre selbsterwählte Aufgabe als Avantgarde nicht erfüllen. Sie bleibt auf die Wissensvermittlung beschränkt und damit auf einen Inhalt des Denkens, nicht des Bewusstseins. Wissensinhalte bleiben aber als solche beliebig. Sie beziehen ihre Kraft eben nicht aus der Kongruenz aus Erfahrung und Wissen und somit aus der Reflexion, sondern aus dem Nachdruck, mit welchem jenes Wissen gegenüber einem anderen vertreten wird. Daher ist die Bedeutung von propagandistischen Events für Kommunist:innen, die den Marxismus-Leninismus vertreten, von so herausragender Bedeutung. Die kommunistische Demonstration muss Eindruck schinden, damit das Wissen seinen Nachdruck durch eine Art Performance erhalten kann. Heute ist dies tatsächlich wieder zu sehen, immer dann, wenn die neuen Anhänger:innen des Marxismus-Leninismus auf Demonstrationen mit ihrem Meer aus roten Fahnen und einem zueinanderpassenden Kleidungsstil die Einheit der Lehre und ihre Kraft vermitteln wollen. Die Avantgarde zeichnet sich selbst also weniger durch ein entfaltetes Bewusstsein aus, sondern durch eine – oft auch nur oberflächliche – Kenntnis des Marxismus, den sie durch eindrückliches Engagement verbreiten will. Sie ist damit selbst Ausdruck des verdinglichten Bewusstseins.

# Antifaschistische Aktion

Es stellt sich insgesamt die Frage, in Bezug auf den Ausgangstext der Debatte, den „Zeit zu handeln“-Aufruf, was dies alles mit der antifaschistischen Praxis, zu welcher der Aufruf ja stimulieren will, zu tun hat. Für die Antwort auf die Frage ist es noch einmal wichtig, auf das zurückzugreifen, was wir weiter oben schon erläutert haben, nämlich auf die Annahme: Der antifaschistische Kampf ist als konkreter Kampf nur insoweit wichtig, wie er die Möglichkeit aufrechterhält, auf den Klassenkampf und die Revolution vorzubereiten. Die organisierten Faschisten sind nur insoweit ein Problem, wie sie um den Inhalt im Denken des Proletariats mit den ML-Kommunist:innen konkurrieren. Da der Faschismus im Endeffekt nur eine bürgerliche Ideologie ist, wird er mit dem irgendwann erfolgenden Triumph über die Bourgeoisie sein Ende finden. Inhaltliche Ausformungen des Faschismus spielen insofern eine wesentlich untergeordnete Rolle.

Hinzu kommt noch der Aspekt, dass für die ML-Kommunist:innen der Grad der Organisiertheit sich immer daran misst, inwieweit politische Praxis auf Revolution und Klassenkampf im Sinne des Marxismus-Leninismus ausgerichtet ist. Ist politische Praxis dies nicht, so erscheint sie im Grunde immer als wesentlich nicht organisiert. Autonomer Antifaschismus kann in diesem Denken zwar Erfolge im unmittelbaren Kampf gegen den Faschismus erzielen, aber bleibt darüber hinaus hilflos, weil er über diese Ebene nicht hinauskommt. Interessant ist er in dieser Hinsicht für ML-Kommunist:innen immer nur im Sinne seiner Schlagkraft. Ist diese hoch, so wächst das Interesse, diese Strukturen zu übernehmen und für die eigene Sache zu gewinnen, um dann mithilfe der nach außen hin sichtbar gewordenen Schlagkraft dem Anliegen des Klassenkampfes mehr Nachdruck zu verleihen. Inhaltliche Betrachtungen eines schlagkräftigen Antifaschismus sind aber in dieser Perspektive vollkommen irrelevant, bis zu dem Punkt, wo diese den Analysen des Marxismus-Leninismus entsprechen.

Es ist nun aber so, dass gerade in Ostdeutschland sich die antifaschistische Bewegung gar nicht wesentlich auf den Marxismus-Leninismus bezogen hat, mit Ausnahmen vielleicht in Teilen von Sachsen-Anhalt. Demgegenüber ist etwa die Beschäftigung mit Antisemitismus und Verschwörungsideologien nicht selten und langanhaltend ein integraler Bestandteil der antifaschistischen Theorie und Praxis in Ostdeutschland gewesen: zwei Themen, die für den Marxismus-Leninismus irrelevant sind, insofern, dass sie nur zwei Spielweisen der ja ohnehin immer falschen bürgerlichen Ideologie sind, die nur deswegen ein Problem sind, weil sie die Arbeiterklasse verwirren können. Insbesondere aber die Beschäftigung mit dem Antisemitismus führte auch dazu, dass sich eine gewisse Skepsis gegenüber dem Marxismus-Leninismus verbreitete, gerade weil dieser in seiner vulgären Form sich besonders anfällig gezeigt hat, antisemitische Vorstellungen und Erklärungen in sein Weltbild zu integrieren.

ML-Kommunist:innen haben also gegenüber den in Ostdeutschland schon bestehenden antifaschistischen Strukturen vor allem das Interesse, diese zu organisieren, was nichts anderes bedeutet, als sie in ihre eigenen Strukturen zu integrieren. Jedwede inhaltliche Debatte, sowie jede Praxis haben hier immer dann einen Mangel, wenn sie sich nicht offen auf Klassenkampf und Revolution beziehen, und dies ist ein Mangel, dem diese Gruppen Abhilfe schaffen wollen. Dies sagt auch JB ganz offen:

„Die „radikale Linke“ besitzt als Ganzes aktuell weder Strategie, noch die notwendige organisatorische Basis. Weite Teile sind nicht einmal theoretisch, geschweige denn praktisch, in der Lage, die Probleme an der Wurzel anzugehen – womit sie die Bezeichnung „radikal“ streng genommen nicht verdienen. Vielmehr geht es, wie die „ostdeutschen Antifas“ treffend festgestellt haben, nur um eine radikalistische Verpackung. Der Inhalt wird beliebig, Hauptsache gegen das System, das man nicht versteht“.

Dabei haben wir uns gerade in unserem Text dagegen versperrt, davon auszugehen, wesentliches Wissen über eine Veränderung des aktuellen Zustandes sei schon bekannt, es müsse nur noch verbreitet werden. Es geht ja gerade darum, sich des Mangels bewusst zu werden, welcher den eben schon feststehenden Theorien innewohnt, zu denen eben auch das gehört, was uns JB hier als wegweisende Inhalte präsentieren will:

„Die kommunistische Bewegung besitzt einen über 200 Jahre reichen Erfahrungsschatz aus Theorie und praktischen Emanzipationskämpfen, fallen wir nicht hinter die Erkenntnisse unserer GenossInnen zurück, sondern lernen wir von Ihnen und heben wir die kommunistische Theorie und Praxis auf die Höhe unserer Zeit! Nur mit diesem Bewusstsein gelingt es uns, aus der Irrelevanz zu entkommen!“

Dabei ist ja gerade das Problem, dass wer glaubt, sich auf diesen „über 200 Jahre reichen Erfahrungsschatz“ einfach so beziehen zu können, die Situation der inhaltlichen Orientierungslosigkeit nicht überwinden kann, sondern diese festschreibt. Es heißt zwar von sich selbst begeistert:

„[F]allen wir nicht hinter die Erkenntnisse unserer GenossInnen zurück, sondern lernen wir von Ihnen und heben wir die kommunistische Theorie und Praxis auf die Höhe unserer Zeit!“

Aber gerade immer da, wo sich aktuell auf den Marxismus-Leninismus bezogen wird, findet dieses ja nicht statt. Es wird sich, wie der Text von JB ja eindrücklich zeigt, wesentlich unbewegt auf statische Inhalte bezogen. Demgegenüber soll dann ein gesteigertes Engagement bezüglich der Vermittlung die Lösung sein. Das Heben der kommunistischen Theorie und Praxis auf die Höhe unserer Zeit besteht ja in dem Text von JB nicht darin, sie tatsächlich irgendwie voranzubringen, sondern daran, sich die Wirklichkeit so ausdeuten zu lernen, dass das Alte immer noch passt. Damit aber wird das Entkommen der Irrelevanz zu einem einfachen Erfolg oder Misserfolg der eigenen Propaganda. Es wird zwar von Bewusstsein gesprochen, aber das Bewusstsein, dass wir unbedeutende Existenzen sind, in einer Welt, in der wir nur noch als Dinge betrachtet werden und in der wir uns und andere ebenso nur noch als Dinge erkennen können, bleibt aus, gerade da, wo der leichtfertige und fröhliche Ausweg angenommen wird.

Unseren letzten Text beendeten wir unter anderem damit, noch einmal zum Ausdruck zu bringen, dass wir es für notwendig halten, Theorie und Praxis nicht an alten und verbrauchten Inhalten auszurichten, oder eben an Inhalten, die zwar den eigenen Wünschen, aber nicht der Wirklichkeit entsprechen. Wir wiederholen es gern: Es geht nicht darum, vergangene Praxis zu seiner eigenen zu machen, oder Traditionslinien zu behaupten, wo keine sind, und genauso wenig geht es darum, sich an Theorien zu klammern, die an der Wirklichkeit vorbeigehen. Denn: Wer ein totes Pferd peitscht, der reitet nicht, sondern verstümmelt dessen Leichnam.

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